Über das Scheitern von Vernetzungsversuchen
Kunst des Scheiterns / Willi Schwarz
Der RGW Berlin (RGW: 'Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe') ist aus der Berliner Häuserkampf-Szene und Kollektivbewegung der 80iger Jahre hervorgegangen. Der jahrelange Versuch, einen Zusammenhang von Menschen, die sich aktuell oder zeitweise in selbstorganisierten Betrieben, Projekten und ähnlichen Experimenten bewegen oder bewegt haben, in eine lebendige, dauerhafte und kooperative Struktur zu gießen, scheiterte. Geblieben ist das RGW-Beratungsbüro Berlin.
Die schlechte Nachricht gleich zu Anfang: Nach unserer Erfahrungen der letzten 25 Jahre in der Zusammenarbeit bzw. Kooperationen ist die Geschichte der Vernetzung linker/ alternativ-ökonomischer Projekte ein mehr oder weniger gescheiterter Versuch: "Im Westen nichts Neues".
Vorhandene Zusammenschlüsse sind kurzlebig und haben keine politische Ausstrahlung. Sie sind beschränkt auf ein oder ganz wenige Themen/ Aufgaben (z.B. Fort- und Weiterbildung, Informationsverbreitung oder einzelner Branchen wie Fahrradläden, Graphisches Gewerbe, Holzverarbeitung). Häufig bestehen sie konkret aus einem Funktionärswasserkopf einer handvoll Menschen, manchmal ganz ohne aktive Basis. Sie sind entweder klein, praxis- und lebensnah, aber ohne Außenwirkung, oder groß und erstarrt, funktional, aber nicht lebendig.
Meine diesbezüglichen Erfahrungen beschränken sich hier darauf, wie es nicht geht, auf das Benennen bekannter Gefahrenquellen. Die gemachten Erfahrungen sind aber nicht unbedingt übertragbar bzw. verallgemeinerbar. Das eröffnet natürlich im Prinzip Chancen durch neue Versuche. Dabei sind Fehler nicht zu vermeiden, aber neue sollten es sein, alte zu wiederholen ist ziemlich langweilig und vergeudet Kräfte. Vernetzung ist auf alle Fälle in Deutschland zwischen linken Projekten nicht sehr verbreitet, überregional überhaupt nicht, regional vereinzelt. Ihre Quantität und Qualität steht in keinem Verhältnis zur verhältnismäßigen großen Anzahl von Projekten und Initiativen.
Woran liegt’s?
Zusammenschlüsse beginnen mit Enttäuschungen. Denn es bekommt nicht jede/r das, was jede/r ursprünglich im Original wollte. Kompromisse mit den vorhandenen Interessen und verschiedenen Wünschen der anderen beteiligten Individuen oder Gruppen müssen zwangsweise eingegangen werden, womit jedem Kooperationsversuch von Beginn an Differenzen zwischen Einzelgruppe und Verbund in die Wiege gelegt werden. Die Differenz wächst leider mit der Größe des Zusammenschlusses: Je größer, umso vielfältiger, umso größere Einigungsanstrengungen, umso größer ist am Ende die Differenz zu demursprünglichen Anliegen. Und umso allgemeiner müssen die Aussagen und Zielbeschreibungen ausfallen, damit überhaupt noch ein nennenswertes Volumen an Gruppen dabei bleiben. Das ist theoretisch nichts Neues. Es stellt sich die Frage nach der Gegenleistung für meinen Gemeinschaftsbeitrag. Viele sagen: "Wenn ich mich mit den GenossInnen zusammentue, was habe ich/ was haben wir denn davon?" Es muss mir oder meinem Projekt etwas bringen. Das ist zwar legitim, aber einer Rentabilitätsberechnung liegt die Erwartung zum sofortigen Ertrag zugrunde oder produziert häufig eine Abseitshaltung, nach dem Motto: "Erstmal gucken, was die da vorhaben...". Unter Umständen war’s das dann schon mit dem schönen Netzwerk!
Die Mühen dieser Ebenen sind im Alltag anstrengend bzw. bedeuten noch mehr Zusatzarbeit. Bei zu langer einseitiger und nicht erfolgshonorierter Belastung erfolgt nicht selten der Rückzug: bringt doch alles nichts und scheinbar geht es alleine ohnehin besser. Dieser Punkt ist alleine schon hochprozentig der entscheidende Grund fürs Scheitern.
Andererseits...
Vernetzung ist nur langfristig nützlich, sie hat einen zusätzlichen Selbstzweck, unabhängig vom eigentlichen Kooperationsanlass. Zum Beispiel sind allein schon persönliche Kontakte wichtig, Treffen mit interessanten Leuten, Klatsch und Tratsch (vornehmer: Info-Börse), Kraft und Einigkeit im Kreis von Gleichgesinnten spüren, evtl. auch ähnliche Verzweiflung. Überbetriebliche Kooperation ist förderlich, erleichtert, macht das Erreichen von Projektzielen oft erst möglich, zum Beispiel durch Wissenstransfer, Erfahrungsaustausch, kostensenkendes Wirtschaften, gegenseitige Unterstützung, starke Interessenvertretung gegenüber anderen Akteuren und gesellschaftlichen Institutionen. Das ist alles einleuchtend und notwendig, aber: bisher haben die verschiedenen Ansätze keine wirksamen, übergreifend handelnden Akteure hervorgebracht.
Warum?
Ausgangspunkt für die meisten Projekte ist der gesellschaftliche Gegenentwurf. "Was wir tun und wie wir’s tun", das ist die Motivationsgrundlage. Das umzusetzen erfordert Autonomie und Individualität, den betriebsnotwendigen Egoismus, dessen Herstellung und Erhalt einen überschaubaren, verlässlichen Rahmen erfordert. Das ist so etwa das Gegenteil von dem, was in größeren Verbünden erfahren wird: dort bist Du abhängig von unkalkulierbaren Entwicklungen und verfügst nur über bedingte Einwirkungsmöglichkeiten. Die Folge ist ein Dilemma. Denn für das Erreichen von Projektzielen ist gemeinsames, solidarisches und politisches Wirken nach außen erforderlich. Es besteht die Notwendigkeit für eine Öffnung der Gruppe nach außen, das Eingehen von Verbindungen und betriebsübergreifendes Handeln, gerade nicht der Rückzug bei Krisen und Bedrohungen, gerade kein Einigeln bei Kürzungen oder Angriffen auf die Existenz.
Die Lösung des Dilemmas besteht dann oft in einer Definitionsänderung: Das Erreichen des Projektzieles wird bereits in der Abkehr von der Normalwirtschaft gesehen, die Existenzsicherung des gelebten Projektalltags als Demonstration der Andersartigkeit zum Ziel umdefiniert - für die meisten Projekte ist ohnehin die Ablehnung der kapitalistischen Lebens- und Wirtschaftsweise das bestimmende Motiv, nicht eine praktische, visionäre Vorstellung von einer übergreifenden, massenhaften und geldlosen Versorgungswirtschaft. Das führt zu projektinterner Immigration. Diese Projekte verschwinden dann oft sang- und klanglos (z.B. bei Auslaufen einer Förderung, Insolvenz, Konflikten, etc.), und erst dann wird dieser Prozess überhaupt sicht- und spürbar.
Nächster Mangel oder Hürde: Ein zu kurz greifender politischer Diskurs am Anfang, seltene Überprüfung unterwegs und ein pragmatischer, alltäglicher 'Gebrauchswertumgang' führen zu Oberflächlichkeit und nur allgemeinen Aussagen, weil eine möglichst große Mitgliederanzahl im Vordergrund steht. Das bringt aber weder politischen Anstöße nach außen, noch politische Motivation nach innen. Ein politischer Diskurs ist aber zwingend erforderlich. Die Hegemonie der herrschenden ökonomischen Theorie und der davon dominierten Politik zwingt zur Rechtfertigung nach außen, erzeugt einen permanenten Legitimationszwang für alternativ-ökonomisches Wirtschaften, für andere ökonomische Ziele, für die Ablehnung von Ausbeutung, für Gleichberechtigung und Gegenseitigkeit.
Wenn ich mich dem stelle, brauche ich ein angemessenen Selbstverständnis meines eigenen Tuns, wie auch eine klare Analyse der mich umgebenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realität. Nur so kann ich der ständigen Fragestellung begegnen: "Wozu mache ich das eigentlich?" Das ist bei dieser Arbeit ein notwendiger, ständiger Begleiter im Alltag, noch einmal anders als bei abhängiger Beschäftigung oder Tätigkeiten in institutionalisierter Form. Die Verinnerlichung eines anderen Wertesystems ist erforderlich. Nicht mehr Anerkennung über Bruttoeinkommen, Karriere, Rangordnung, Titel, Entscheidungshoheit, sondern Lebensqualität durch selbstbestimmte Zeiteinteilung, soziale Integrität, Mitgestaltung und Mitentscheidung. Eine Wirtschaftsweise, in der der Mensch im Mittelpunkt steht und nicht das Benchmarking. Dafür ist eine politische Begründung, in ständig aktualisierter Form, unerlässlich.
Schlussspurt
- Kooperation ist unumgänglich zur Sicherung der eigenen Projektziele und für jegliche politische Arbeit, um dem Kapitalismus das Wasser abzugraben, zumindest einige Staustufen zu errichten.
- Jede Vernetzung braucht eine ‘eigene Seele’, ein unverwechselbares Gesicht, z.B.: "Wir sind das Dresden mit Zukunft: Wenn eure Stadtkassen längst leer sind, gibt es uns immer noch, also kommt lieber gleich zu uns!"
- Jedes einzelne Projekt/ jede einzelne Gruppe ist eine Keimzelle für gemeinschaftliches solidarisches Handeln – dieses Potential schlummert noch.
- Wir können unsere Zusammenhänge nur aus den spezifischen Bedürfnissen und Bedingungen der jeweiligen Gegebenheiten entwickeln. Lernen von anderen ist allenfalls in der rechtlichen und organisatorischen Struktur und aus Fehlern möglich. Eine einfache Adaption wird kaum funktionieren.
Dieser Text erschien ursprünglich als Teil einer Darlegung der Erfahrungen des RGWBeratungsbüros Berlin aus der Beratung einer Vielzahl von selbstorganisierten Projektenund Kooperationen im Rahmen des Projekts "Kunst des Scheiterns".